Meine Vision

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Wer hätte mir einigen Jahren gesagt, dass ich irgendwann einmal ein Projekt im Petén, in Guatemala, starten würde! Damals wusste ich noch nicht einmal, was bzw. wo der Petén war.

Vor 15 Jahren, als ich noch kein Wort Spanisch konnte und die Reise ein reines Abenteuer werden sollte. Ich wollte die Sprache lernen und nebenbei mehr über die Kultur der Maya erfahren. Ich ahnte nicht im Geringsten, dass mich dieses Land nie wieder loslassen würde.

Mittlerweile, wenn das Wort Guatemala fällt, denkt mein gesamtes persönliches Umfeld automatisch sofort an mich.

Wie so oft im Leben, war es reiner Zufall (oder doch nicht?), dass ich überhaupt und gerade in dieses Land reiste. Ich war vom ersten Tag an überwältigt. Wovon genau? Von der Farbenpracht an allen Ecken und Enden, von der Freundlichkeit und Natürlichkeit der Menschen, die zwar keine großen materiellen Reichtümer besaßen, aber trotzdem den Fremden gegenüber offen und interessiert waren. Von der Musik und von den Vulkanen. Von der unberührten Natur und den Brüllaffen, die ich beim ersten Mal für wilde Raubtiere hielt, weil ihr Schrei so ohrenbetäubend durch den Dschungel hallte. Einfach von allem.

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Allerdings wurde ich auch zum ersten Mal in meinem Leben mit wirklicher Armut konfrontiert. Es waren nicht die Bettler, die man tagsüber auf der Straße sitzend sah und von denen man angesprochen wurde. Es war der alkoholisierte Mann, der um eine Banane bettelte, weil er einfach nur Hunger hatte oder der Jugendliche mit Behinderung, den seine Familie an die Straßenkreuzung setzte, um Geld zu erbetteln, weil es vom Staat keinerlei Hilfen für ihn gab.

Und es war vor allem die Mutter, die mit ihren kleinen Kindern auf der Straße schlief. Nicht tagsüber, sondern nachts mit Zeitungen zugedeckt.

Ich glaube, das war von allem was ich gesehen hatte, wohl das, was mich am meisten geprägt hat. Es ist mir durch Mark und Bein gedrungen und hat meine Denkweise komplett verändert, die Struktur unserer Gesellschaft und die Scheinwelt in der wir in Europa leben.

Alle reden wir zwar immer davon, was für ein Glück wir haben, in Europa geboren zu sein, aber wie viele von uns empfinden das auch wirklich so? Meistens erinnern wir uns daran, wenn wir eine Dokumentation über die sogenannte Dritte Welt sehen. Wie oft kommen wir in einen Strudel von Neid und Scheinheiligkeit, während ein Großteil auf dieser Welt ums tägliche Überleben kämpft. Nur weil sie nicht das „Glück” hatten, in der westlichen Welt geboren zu sein. In der „entwickelten” Welt, wie sie so schön genannt wird. In unserer künstlichen Welt, in der wir verlernt haben, mit der Natur im Einklang zu leben und stattdessen gegen sie leben.

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Seit meiner ersten Reise sind nun schon 16 Jahre vergangen. Seit 14 Jahren lebe ich auf den Kanarischen Inseln und nun ist endlich der Zeitpunkt für mich gekommen, meinen Wunsch, einen kleinen Beitrag zur Verbesserung der Situation in Guatemala zu leisten, in die Realität umzusetzen.

Ich weiß, dass mich viele für eine Närrin halten, gerade jetzt, in der Krisenzeit mit einem Hilfsprojekt zu beginnen und unbezahlten Urlaub zu nehmen, um dieses Projekt, weit weg von Europa, aufzubauen.

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Aber wann ist denn jemals der richtige Zeitpunkt, um etwas zu beginnen? Morgen, übermorgen? Wissen wir, ob wir die nächste Woche überhaupt noch erleben werden? Wer helfen möchte, kann es gleich tun und wer dies nicht will, der wird es auch morgen nicht tun.

Ich hatte keine Ahnung von Firmengründungen, Web-Designs oder Rating-Listen im Internet. Ich wusste nichts über die Administration von Spendengeldern oder den Verkauf von Silberschmuck und Bildern. All dieses Wissen habe ich mir in den letzten Monaten nach und nach angeeignet.

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Im Sommer 2012 reiste ich dann mit meiner Mama und meinem damals 7-jährigen Sohn Daniel nach Guatemala, um das Dorf, dem meine Hilfe zugute kommen sollte, kennenzulernen. Es war für alle ein großes Abenteuer, in dem Daniel lernte, dass unser Glück nicht selbstverständlich ist. Ich verdanke es vor allem Roy Flores, der Direktor des guatemaltekischen Gesundheitsministeriums in der Zone von Sayaxché ist, dass wir das Dorf Palestina II  besuchten und dort auch tatsächlich mit unserem Projekt beginnen konnten. Ohne seiner Hilfe wäre es nicht möglich gewesen, so weit in den Petén vorzudringen.

Ich hoffe, und vor allem wünsche ich mir, dass diese kleine Zusammenfassung meiner Beweggründe für alle verständlich ist, wenn auch wahrscheinlich nicht für alle nachvollziehbar. Aber das macht nichts.

Es geht nicht darum, was wir haben, es geht darum, was wir damit machen. Man muss nicht reich sein, um zu helfen. Man muss nur den Willen dazu haben. Jede noch so kleine Geste trägt zu einem besseren Leben für jemand anderen bei.

Und sind wir doch einmal ehrlich: Ist es nicht ein schönes Gefühl, etwas für andere zu tun, aus reiner Nächstenliebe und ohne etwas dafür zu erwarten?

April 2013

Sandra Pruckmayr